Wichtiges Zeichen für die Gehörlosen
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In der Schweiz leben bis zu 600 000 Menschen mit einer Hörbehinderung. Dieses Jahr fand ein besonderes Ereignis statt, welches nicht nur für die Gehörlosen ein wichtiges Zeichen setzte.
Der Schweizerische Hörbehindertenverband Sonos und die Gehörlosenschulen der Deutschschweiz haben sich anlässlich des Internationalen Tages der Gebärdensprachen am 23. September 2021 für die Unterdrückung der Gebärdensprache im 19. und 20. Jahrhundert entschuldigt. Dies ist das Ergebnis eines langjährigen Engagements des Schweizerischen Gehörlosenbundes SGB-FSS, der dieses Jahr sein 75-jähriges Bestehen feiert. Weitere Informationen und chronologische Eckdaten findet man auf der Seite des SGB-FSS.
Untersuchungsbericht
2016 wurde ein Team der Universität Basel vom SGB-FSS beauftragt, die Praxis der Schweizer Gehörlosenschulen, in Bezug auf die Gebärdensprachen, zu untersuchen. Die Studie untersuchte vier Gehörlosenschulen, berücksichtigt wurden schriftliche und mündliche Quellen. Ein Jahr darauf wurde der Schlussbericht des Projekts «Verbot der Gebärdensprache in der Schweiz» (PDF) von Rebecca Hesse und Prof. Dr. Martin Lengwiler veröffentlicht.
Das Fazit der Studienleitenden ist eindeutig: Der reine lautsprachliche Unterricht wurde von den Betroffenen als «gemachte Behinderung» erlebt, körperbezogene Strafpraktiken waren verbreitet, wie beispielsweise der Apfel auf dem Kopf, der das Gebärden verunmöglichen sollte, sowie die Stigmatisierung der Gebärdensprache als «primitive Affensprache». Gehörlose galten als beschränkt bildungsfähig und ein Studium wurde ihnen oftmals verwehrt. Die Auswirkungen auf die schulische und berufliche Bildung waren nachhaltig und gravierend, die Beschränkung der biografischen Perspektiven klar diskriminierend (Seite 6–7). Die Gebärdensprachen wurden in Bildungsinstitutionen in ganz Europa unterdrückt. Zurückzuführen ist dies unter anderem auch auf die 1880 verabschiedete Resolution am Kongress der «Taubstummenlehrer». Die Gehörlosenpädagog:innen hatten damals beschlossen, die Gebärdensprache an den Gehörlosenschulen zu verbieten.
Die Entschuldigung
Von den Bildungsinstitutionen im Gehörlosenwesen in der Deutschschweiz erfolgte im Herbst 2021 nun eine offizielle Entschuldigung für die damalige Diskriminierung und Unterdrückung der Gebärdensprache. Diese Entschuldigung war ein wichtiges Zeichen für die Gehörlosen in der Schweiz, meint auch Dr. Sonja Matter. Sie ist Senior Researcher am Historischen Institut der Universität Bern und leitet das Projekt «Integriert oder ausgeschlossen? Die Geschichte der Gehörlosen», welches vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert wird. Die Gehörlosenaktivist:innen haben einen grossen Beitrag zur Anerkennung als «kulturelle Minderheit mit eigener Sprache» beigetragen, stellt Matter ebenfalls weiter fest. Das Interview ist im Oktober 2021 in der WOZ erschienen.
Der Live-Event wurde gemeinsam vom Schweizerischen Gehörlosenbund SGB-FSS und von Sonos initiiert und live übertragen. Die Aufzeichnung der historischen Veranstaltung steht auf Facebook zur Verfügung. Zur Aufnahme
Prof. Dr. Tobias Haug äusserte sich zum Ereignis: «Dieser Schritt war richtig und nötig. Unabhängig davon gibt es auch sehr viele positive Entwicklungen, beispielsweise dass der Lehrgang Gebärdensprachlehrer*in im Frühling 2022 an der HfH startet, oder vor einigen Monaten haben drei Gehörlosenschulen aus der Deutschschweiz einen Fachlehrplan für die DSGS gelauncht und neuerdings gibt es das DSGS-Handbuch (www.dsgs-handbuch.ch) als Ressource über die Sprache. Dieses positive Momentum sollte für einen verstärkten Einsatz der Gebärdensprache in der Bildung gehörloser Menschen genutzt werden, aber auch in der Ausbildung von Fachpersonen.»
Der Bundesrat veröffentlichte am 24. September 2021 einen Bericht, in dem er ausführlich Stellung zu den «Möglichkeiten der rechtlichen Anerkennung der Schweizer Gebärdensprachen» nimmt. Er spricht sich gegen eine rechtliche Anerkennung der Gebärdensprache aus. Allerdings wird das Unrecht, welches man den Gehörlosen angetan hat, ausdrücklich anerkannt. Zur Website des EBGB
Gebärdensprache an der HfH
Gebärdensprache und Hörbehinderung ist ein wichtiges Thema an der HfH und dem Institut für Sprache und Kommunikation unter erschwerten Bedingungen zugewiesen. Heute sind Gebärdensprachen weltweit an Hochschulen als Thema fest verankert, in Form von Studiengängen wie Gebärdensprachdolmetschen oder in Form von Forschungsprojekten. In der Deutschschweiz begann die Forschung zur Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS) in den 80er-Jahren durch Penny Boyes Braem, Leiterin des Forschungszentrums für Gebärdensprache (FZG) in Basel. Die Gebärdensprachforschung ist weltweit eine junge wissenschaftliche Disziplin.
Im Rahmen der neuen Innosuisse Flagship Initiative wurde das Projekt «Inclusive Information and Communication Technologies» (IICT) bewilligt, mit dem Ziel, Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) für Menschen mit Behinderungen zu entwickeln. Die HfH ist Forschungspartnerin und übernimmt die Leitung eines Unterprojektes. Den Schwerpunkt bilden die Gebärdensprachübersetzung sowie -überprüfung. Zur News
Ausbildungsangebote
An der HfH wird der Bachelorstudiengang Gebärdensprachdolmetschen als vierjähriges Teilzeitstudium angeboten. Die nächste Informationsveranstaltung findet statt am 13. April 2022. Zur Agenda
Der Lehrgang Gebärdensprachlehrer*in ist ein Vorbereitungskurs auf die eidgenössische Berufsprüfung Gebärdensprachlehrerin mit eidgenössischem Fachausweis/Gebärdensprachlehrer mit eidgenössischem Fachausweis und startet im Frühlingssemester 2022 zum ersten Mal. Im Zentrum steht der Aufbau fundierter berufsspezifischer Kompetenzen. Neben den theoretischen Inhalten bietet die Ausbildung auch Hospitationen in unterschiedlichen Förder- und Unterrichtssettings sowie in Projekten. Zum Lehrgang Gebärdensprachlehrer*in
Autorin: Kristina Vilenica, MA, Kommunikation, HfH
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