HfH im Wandel der Zeit: Persönlichkeiten
100 Jahre HfH
Die HfH feiert 2024 ihr 100-jähriges Jubiläum. Ein kurzer Überblick über wichtige Persönlichkeiten, welche die Geschichte der Institution geprägt haben.
Die Geschichte einer Institution wird immer von Personen geschrieben. Wenn es sich um ein Traditionshaus wie die HfH handelt, das 2024 hundert Jahre alt wird, sind es naturgemäss eine Reihe von Personen, die geprägt haben. Folgende Persönlichkeiten stehen jeweils für einen Meilenstein in der Entwicklung der HfH:
Heinrich Hanselmann
Heinrich Hanselmann (1885–1960) war ab 1924 der erste Leiter des HPS. Aber nicht nur das: Vorher beteiligte er sich auch schon rege an den Vorbereitungsarbeiten. «Er häts erfunde!», dieser berühmte Schweizer Werbeslogan wäre hinsichtlich seines Einflusses auf das HPS kaum übertrieben. Zugleich bereitete er den wissenschaftlichen Boden, auf dem das Seminar seine Ausbildung aufbaute. Auch hier übernahm er eine klassische Vorreiterrolle. Das Ziel war kein Geringeres als die Emanzipation von der Medizin und die Begründung der Heilpädagogik als eigenständiges Fachgebiet. Im Zentrum seines Werks stand die «Entwicklungshemmung». Damit richtete er sich gegen damals gängige und stark wertende Begrifflichkeiten wie «Anomalie» oder «Minderwertigkeit», die er ablehnte. Vielmehr betonte er, dass sich sowohl Anlage als auch Umwelt entwicklungshemmend auf den Menschen auswirken können. Dieser Gedanke ist heute noch aktuell und kommt in den Sprachbildern «Man ist behindert» und «Man wird behindert» zum Ausdruck.
Heinrich Hanselmann war der erste Leiter des HPS (1924–1940).
Paul Moor
Paul Moor (1899–1977) war von 1940 bis 1961 Rektor des Heilpädagogischen Seminars. Es ist ganz wenigen Fachpersonen der Heilpädagogik vorbehalten, dass sich ein Satz von ihnen ins Gedächtnis ganzer Generationen eingenistet hat. Moor ist einer von ihnen. Im Jahresbericht des HPS aus dem Jahr 1947 ist sein seither viel zitiertes Diktum nachzulesen: «Heilpädagogik ist Pädagogik und nichts anderes.» Für ihn war die Heilpädagogik also keine wie auch immer geartete Sonderform von Pädagogik, sondern er verstand die Heilpädagogik dezidiert als eine allgemeine Pädagogik – einfach eine, die erschwerende Umstände in den Blick nimmt. Das macht sie aus. Damit kann man Paul Moor aus heutiger Sicht mit gutem Grund als einen der geistigen Vorreiter der integrativen Schule bezeichnen. Bildung für Alle! Er wäre dafür eingestanden.
Paul Moor war der geistige Vorreiter der integrativen Pädagogik und zweiter Rektor des HPS (1940–1961).
Martha Sidler
Martha Sidler (1889–1960) war Dozentin am HPS. Ihr Hauptinteresse galt schwererziehbaren Kindern und Jugendlichen. Bereits 1926 gründete sie die «Zürcher Realbeobachtungsklassen», eine besondere Form der Sonderschulung für verhaltensgestörte Oberstufenkinder. Dafür wurde sie international bekannt, wie ein Nachruf der Schweizer Zeitung «Tat» zeigte: «Ihre Arbeit mit der schwererziehbaren Jugend in Zürich wirkte für verschiedene andere Schweizerstädte und bis ins Ausland wegweisend», hiess es da. Es waren aber nicht nur die fachlichen Fussspuren, die sie am HPS hinterliess, sondern sie war auch eine Wegbereiterin für eine bessere Stellung der Frauen in der Heilpädagogik im Allgemeinen und im männerdominierten HPS im Besonderen. So regte sie bereits Ende der 1940er Jahre an, dass doch auch einmal eine Frau eine leitende Position übernehmen könne. Es sollte aber nochmals rund 70 Jahre dauern, bis dieses Anliegen in der Person der aktuellen Rektorin Barbara Fäh ganz oben in die Tat umgesetzt wurde.
Martha Sidler wurde international bekannt, indem sie sich für schwererziehbare Kinder und Jugendliche einsetzte.
Fritz Schneeberger
Fritz Schneeberger (1919–2004) war von 1961 bis 1984 Rektor des Heilpädagogischen Seminars. Mit diesen 24 Jahren Amtszeit ist er der Rekord-Rektor des HPS. Seine wichtigste Errungenschaft war, dass er im Jahr 1972 die Studiengänge völlig neu aufgleiste, ja fast umkrempelte. Es war die Geburtsstunde der pädagogisch-therapeutischen Lehrangebote: 1972 kam die Psychomotoriktherapie auf die Agenda des HPS, 1973 folgte die Logopädie. Was heute selbstverständlich klingt, brauchte damals Visionen und beträchtlichen Mut – bis dahin war allein der Begriff der «Therapie» im heilpädagogischen Umfeld nicht salonfähig. Schneebergers Drang zur praktischen Gestaltung manifestierte sich in vielen neuen Angeboten. Er nahm zum Beispiel auch eine Pionierrolle beim Aufbau von schulpsychologischen Diensten ein. Ein echter Hansdampf.
Fritz Schneeberger bewies viel Gestaltungswillen in seiner Funktion als Rektor des HPS (1961–1984) und gleiste die Studiengänge neu auf.
Suzanne Naville
Suzanne Naville (geb. 1932) brachte Anfang der 1970er Jahre die Psychomotoriktherapie nach Zürich ans HPS. Was heute selbstverständlich klingt, war damals eine Herkulesaufgabe. «Als Frau Naville mir ihre Idee vorgestellt hat, bin ich erstmal zusammengezuckt», blickte der damalige HPS-Rektor Fritz Schneeberger später auf dieses Treffen zurück. Der Grund: Nur schon der Begriff der «Therapie» war damals im heilpädagogischen Umfeld noch nicht salonfähig. Doch Suzanne Naville überzeugte mit ihrer Persönlichkeit und ihrer Grundidee. Danach gibt die Bewegung über die Körpersprache Einblick in die Gefühlswelt. So lassen sich Emotionen ausdrücken, die sonst verborgen blieben. Dies ermöglicht einen Zugang zu Kindern und Jugendlichen, die sozial-emotional auffällig sind – aggressiv, impulsiv oder auch schüchtern und ängstlich. Eine tragende Rolle spielte dabei die Musik. «Wenn ein aggressives Kind täubelet hat, dann habe ich auf dem Klavier auch täubelet, so konnte ich sofort eine Verbindung verstellen.»
Suzanne Naville hat die Psychomotoriktherapie-Ausbildung nachhaltig geprägt. (Fotografie: Senn)
Thomas Hagmann
Thomas Hagmann (geb. 1946) war von 1989 bis 2001 Rektor des Heilpädagogischen Seminars. Er war der erste Leiter, der wirklich von aussen kam. Nicht geographisch, sondern kulturell, denn er hatte keinen HPS-Stallgeruch wie vorher Hanselmann, Moor oder Schneeberger. Und dieser frische Wind von aussen tat der Institution gut. Eine der grossen Stärken vom fachlich vielseitigen Hagmann war es, das grosse Ganze in den Blick zu nehmen. So etablierte er die systemische Sichtweise im Seminar: Ein Kind ist nicht einfach behindert, sondern es wird auch behindert von der Gesellschaft. Zusammen mit dem gerade Schwung nehmenden Ansatz der schulischen Integration ergab sich eine Gemengelage, in welcher der Reformator Hagmann das HPS an vielen Stellen neu ausrichtete – und letztlich fit machte für den Übergang vom Seminar zur Hochschule.
Thomas Hagmann, Rektor von 1986–2001, war der Wegbereiter für den Übergang vom Seminar zur Hochschule.
Urs Strasser
Urs Strasser (geb. 1953) war von 2001 bis 2016 Rektor der damals neuen Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik. Kopf, Herz und Hand – diese Denkfigur kann man gut auf Urs Strasser anwenden, um sein Wesen und Wirken zu charakterisieren. So war er es, der den vierfachen Leistungsauftrag an der Hochschule verankerte: Exzellenz in Ausbildung, Weiterbildung, Forschung und Dienstleistungen sollte die HfH zur heilpädagogischen Hochburg in der Schweiz machen. Dies lenkte er aber nicht vom hohen Ross aus, im Gegenteil: Nie verlor er den handfesten Kontakt zur Praxis, gerade in der Förderung von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen hat er tiefe Fussspuren hinterlassen. Als Kompass dienten ihm dabei immer Überlegungen aus der Ethik, die er auch den Studierenden im Hause im Rahmen von Vorlesungen und Seminaren näherbrachte.
Urs Strasser verankerte den vierfachen Leistungsauftrag an der Hochschule. Er war Rektor der HfH von 2001–2016.