Inklusionssensible Lehr- und Lernsituationen

Kategorie Institutsthema

Unterricht als inklusionssensible Lehr- und Lernsituation ist einem demokratischen Verständnis verpflichtet, begreift Vielfalt als Chance, ist ressourcenorientiert und setzt Partizipation als Selbstverständlichkeit voraus.

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Seline Soom Titel lic. phil.

Funktion

Senior Lecturer

Unterrichtssituationen werden aus einer inklusiven Perspektive analysiert und weiterentwickelt. Demokratie und Partizipation stehen dabei im Mittelpunkt des Lehrens und Lernens, und weniger Leistungsfähigkeit und Effizienz. Ausgangsüberlegungen für inklusionssensible Lehr- und Lernsituationen sind folgende:

Demokratische Werte und persönliche Leitsätze. Für inklusionssensible Lehr- und Lernsituationen stellen internationale sowie nationale Orientierungslinien wichtige Bezugspunkte dar: Bildung und die Sustainable Development Goals der UNESCO (2015), Lernkompass 2030 der OECD, Referenzrahmen der Kompetenzen für eine demokratische Kultur des Europarats (2018), Lehrplan 21 und éducation21.

In diesem Kontext wird die Bedeutung demokratischer Werte, des demokratischen Bildungsauftrags sowie der eigenen Haltung und Wertorientierungen bewusst und kann kritisch hinterfragt werden. Für die Professionalisierung von Lehrkräften ist die Reflexion der eigenen Haltung eine notwendige, aber schwierige Aufgabe ist (vgl. Wischer 2009). Mögliche Frage: Wo werden demokratische Wertvorstellungen in meinem Schulalltag thematisiert und gelebt?

Gerechtigkeitsverständnis. Die Schule muss sich mit normativen Grundfragen – wie beispielsweise: Welche Formen des gesellschaftlichen Miteinanders wünschen wir uns grundsätzlich, gerade jenseits der Institution Schule? (vgl. Beutel u.a. 2020) – und auch mit gerechtigkeitstheoretischen Konzeptionen auseinandersetzen (vgl. Trautmann 2022). Daher ist es notwendig, das eigene Verständnis von (Bildungs-)Gerechtigkeit zu reflektieren und Unterricht als gerechtigkeitsbezogene Tätigkeit zu verstehen. Mögliche Frage: Was ist für mich eine gerechte Schule?

Vielfalt. Eine inklusive Schule ist ein Ort, an dem sich Schülerinnen und Schüler auf vielfältige Weise immer wieder neu unterscheiden und in wechselnden Konstellationen auch immer wieder Gemeinsamkeiten aufweisen (vgl. Arens u. a. 2010). Die Auseinandersetzung mit der Konstruktion von Differenzkategorien und möglichen Diskriminierungen darf im Unterricht stattfinden. Mögliche Fragen sind: Welche Unterschiede nehme ich in den Blick und wie bewerte ich sie? Welche Gemeinsamkeiten gibt es in meinem Schulzimmer und wie werte ich sie?

Stärkenorientierung. Der Unterricht wird auf Vielfalt hin gestaltet und stellt die Förderung von individuellen Stärken in den Vordergrund.

Vor diesem Hintergrund sind folgende Bausteine wichtig für einen inklusionssensiblen Unterricht:

Gemeinschaft, in der sich alle verantwortlich fühlen. In inklusionssensiblen Lehr- und Lernsituationen geht es neben gerechten und diskriminierungsfreien Lern- und Entfaltungsmöglichkeiten immer auch um die Bildung eines emphatischen, respektvollen und toleranten Miteinanders. Ein demokratisches Zusammenleben und demokratiefeindliche Einstellungen werden thematisiert. In gemeinsamen Erfahrungen gilt es, Unterschiede auszuhalten und trotz aller Verschiedenheit miteinander im Dialog zu bleiben. «Es braucht Gruppen, wo sich alle verantwortlich fühlen. Erst dann kann sich eine integrative Kraft entfalten» (Bühler, 2017).

Partizipation als Selbstverständlichkeit. Sandra Hotz und Christina Weber Khan zeigen in ihrem Artikel «Ohne Partizipation keine Inklusion» auf, dass Inklusion ohne Partizipation nicht gelingen kann. Auch in der UN-Kinderrechtskonvention steht: «Kinder haben das Recht, bei allen Fragen, welche sie betreffen, mitzubestimmen und zu sagen, was sie denken» (Artikel 12 und 13). Das Recht auf Mit- und Selbstbestimmung muss sich in sozialen Bezügen, in sozialer Zugehörigkeit und Verbundenheit auch in der Schule widerspiegeln (vgl. Wocken 2009). In inklusionssensiblen Lehr- und Lernsituationen ist es notwendig, die Partizipation mitzudenken und umzusetzen.

Anerkennung am Beispiel von Beurteilen. Summative Beurteilungen in Form von Noten im Vergleich zur sozialen Bezugsnorm einer Klasse, überwiegen in unserem Schulsystem trotz aller Kritik immer noch (Beutel u. a. 2020). Eine wertschätzende Beurteilungskultur kann durch wechselnde und transparente Bezugsnormen (individual, sozial, kriteriumsorientiert) und unterschiedliche Beurteilungsformen (formativ, summativ und prognostisch) zu inklusionssensiblen Lehr- und Lernsituationen beitragen. Seline Soom beschreibt Fallbeispiele in ihrem Artikel «Beurteilung – ein unheilpädagogisches Übel». Zum Artikel (Issuu)

Selbstverantwortliches und selbständiges Lernen und Handeln. Findet Lernen in parallel ablaufenden, unterschiedlichen Prozessen statt, ist es wichtig Kompetenzen zur Autonomieförderung und zum Öffnen von Unterricht zu kennen. Selbstverantwortliches und selbständiges Lernen erfordert andere Formen der Unterrichtsgestaltung (Peschel, 2021). Es stellen sich Fragen nach der Organisation, den Methoden, den Inhalten, dem sozialen und dem persönlichen Lernen.

Weiterbildungs- und Beratungsangebote

Das Institut für Lernen unter erschwerten Bedingungen bietet ein Weiterbildungs- und Beratungsangebot im Bereich inklusionssensible Lehr- und Lernsituationen für Lehrpersonen und Schulen an:

Bei Interesse für Weiterbildungskurse können Sie sich direkt an das zuständige Institut wenden: Sandra Derflinger, Assistentin Leiterin Institut für Lernen unter erschwerten Bedingungen, sandra.derflinger [at] hfh.ch.

Literaturhinweise

  • Arens, S. und Mecheril, P. (2010). Schule – Vielfalt – Gerechtigkeit. Schlaglichter auf ein Spannungsverhältnis, das die politische und erziehungswissenschaftliche Diskussion in Bewegung gebracht hat. In: Lernende Schule 49, S. 9-11.
  • Beutel, S.-I.; Pant, H.A. (2020). Lernen ohne Noten. Alternative Konzepte der Leistungsbeurteilung. Kohlhammer Stuttgart.
  • Beutler, W. (2016). Demokratiepädagogik als Querschnittsaufgabe aktueller Schulentwicklung (2016). In: DDS – Die Deutsche Schule. 108. Jahrgang 2016, Heft 3, S. 226-238.
  • Bühler, G. (2017). Gemeinsam für Vielfalt. Briefe an eine Lehrerin. Bern: SZH Edition.
  • Hotz, S. ; Weber Khan, C. (2021). Ohne Partizipation keine Inklusion. Zur Umsetzung des Partizipationsrechts nach Art. 2 UN-KRK von Kindern und Jugendlichen im Bildungsbereich. In: Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 27, 1–2, 2021, S. 58- 65.
  • Klippert, H. (2010). Heterogenität im Klassenzimmer. Wie Lehrkräfte effektiv und zeitsparend damit umgehen können. Julius Beltz 2012, (4. Aufl.).
  • Peschel, F. (2019). Offener Unterricht. Schneider Verlag Hohengehren. Band 9.
  • Schratz, M. und Westfall- Greiter, T. (2010). Das Dilemma der Individualisierungsdidaktik. Plädoyer für personalisiertes Lernen in der Schule. In: journal für schulentwicklung 14 (2010) 1, S. 18-31.
  • Soom, S. (2023). Was charakterisiert inklusionssensible Lehr- und Lernsituationen im Unterricht? Ein Seminarkonzept. Lehren und Lernen (Lernen unter erschwerten Bedingungen. «Wenn's mal wieder nicht für Urlaub reicht»), (8/9), 47–50.
  • Trautmann, M. (2022). (Inklusiv) Unterrichten als Gerechtigkeitsproblem. Zur Verteilung von Lehrkraftressourcen unter den Schülerinnen und Schülern einer Lerngruppe. In: Zeitschrift für Inklusion, (2-2022). Zugriff am 2.2.2023 unter https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/vie…;
  • Wischer, B. (2009). Umgang mit Heterogenität im Unterricht - Das Handlungsfeld und seine Herausforderungen. TIPP (Teachers in Practice and Process). Zugriff am 12.01.2024 unter https://www.lernende-schulen.at/mod/resource/view.php?id=146&forceview=1
  • Wocken, H. (2009). Inklusion und Integration. Ein Versuch, die Integration vor der Abwertung und die Inklusion vor Träumereien zu bewahren. Frankfurt.