Weiterentwicklung inklusive Berufsbildung (WIB)

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Das Projekt hat zum Ziel, mehr Wissen über die Situation von Lernenden mit Beeinträchtigungen in betrieblichen Ausbildungssituationen zu gewinnen und Erfolgsfaktoren für einen gelingenden Ausbildungsverlauf sowie geeignete Formen der Begleitung aufzeigen. In drei Arbeitsschritten werden Faktoren für den Erfolg ausbildungsbegleitender Massnahmen im ersten Arbeitsmarkt identifiziert, Handlungsansätze im Hinblick auf eine verbesserte Inklusion erarbeitet, und partizipativ mit Betrieb und Jugendlichen mit einer Beeinträchtigung weiterentwickelt. Die Vorschläge sollen in geeigneter Form den Verantwortlichen in Betrieben zur Verfügung gestellt werden.

Projektleitung

Claudia Schellenberg Titel Prof. Dr.

Funktion

Professorin für die berufliche Integration von Jugendlichen mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen

Claudia Hofmann Titel Dr. phil.

Funktion

Senior Researcher

Fakten

  • Dauer
    11.2023
    03.2027
  • Neue Projektnummer
    2_36

Projektteam

  • Annette Krauss
  • Simone Moser
  • Oliver Maier
  • Roland Stein
  • Hans-Walter Kranert

Ausgangslage

In der modernen Gesellschaft ist die bezahlte Erwerbsarbeit von grosser Bedeutung. Die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen in den ersten Arbeitsmarkt ist daher ein wichtiges gesellschaftspolitisches Ziel (Zemp & Staub, 2022; Sempert & Kammermann, 2011). Seit ein paar Jahren werden berufliche Grundbildungen bei Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen vermehrt auch in Betrieben des ersten Arbeitsmarkts angeboten. Im Sinne des Modells der «unterstützten Beschäftigung/Ausbildung» werden Jugendliche und junge Erwachsene von Jobcoaches begleitet und zusätzlich unterstützt, wenn sich im Betrieb oder in der Schule Probleme zeigen.

Eine Reihe von Studien belegen die Vorteile der «unterstützten Beschäftigung/Ausbildung» gegenüber Ausbildungen im geschützten Rahmen (z.B. Bond et al., 2012; Stein & Kranert, 2020; Lulaj, 2023; Hofmann & Schaub, 2016). Allerdings gibt es im deutschsprachigen Raum und bezogen auf Länder mit einem dualen Bildungssystem erst vereinzelte Untersuchungen. Insbesondere gibt es noch wenig gesichertes Wissen betreffend Voraussetzungen und Faktoren, die den Erfolg ausbildungsbegleitender Massnahmen begründen bzw. beeinflussen und es existieren noch wenig fundierte Handlungsempfehlungen für involvierte Personen (z.B. Jobcoaches, Berufsbildner:innen etc.).

Gerade das betriebliche Umfeld spielt für den Ausbildungserfolg bzw. das Risiko, die Ausbildung abzubrechen eine grosse Rolle (Bosset et al., 2022). Ausbildungsverantwortliche brauchen zunehmend Kenntnisse über die Inklusion von Lernenden mit Beeinträchtigungen. Das Projekt hat deshalb zum Ziel, mehr Wissen über Beeinträchtigungen und Bedürfnisse der Lernenden in verschiedenen Ausbildungssituation zu gewinnen, Erfolgsfaktoren für einen gelingenden inklusiven Ausbildungsverlauf aufzudecken, sowie geeignete Formen der Begleitung aufzuzeigen. Der Fokus liegt auf der betrieblichen Ausbildung, wobei jedoch auch die Zusammenarbeit zwischen Betrieben und Berufsfachschulen beleuchtet wird. Darauf aufbauend werden Handlungsansätze für ausbildende Betriebe entwickelt und Konzepte für eine verbesserte Inklusion im Betrieb bereitgestellt.

Methode

Das Projekt will folgenden Hauptfragestellungen und den damit verknüpften methodischen Schritten nachgehen:

Schritt 1: Welche Faktoren, Bedingungen und Voraussetzungen beeinflussen den Erfolg ausbildungsbegleitender Massnahmen im ersten Arbeitsmarkt?

Dabei sollen Bedürfnisse und Herausforderungen von Lernenden mit Beeinträchtigungen in verschiedenen Ausbildungssituationen nachgezeichnet und Schlüsselmomente skizziert werden, wie sich kritische Situationen im Ausbildungsverlauf gestalten und welche Faktoren der Ausbildungsbegleitung (durch Betrieb, Jobcoach oder weitere Fachpersonen) sich dabei als erfolgreich erweisen. Der Fokus wird dabei auf Betriebe gerichtet, die eine berufliche Grundbildung mit EBA und EFZ im ersten Arbeitsmarkt anbieten.

Um einen Überblick über die Situation in verschiedenen Branchen und eine Basis für die gezielte Auswahl von Branchen zu erhalten, werden zunächst Branchenverbände onlinebasiert befragt. Fragen betreffen u.a. Formen der Ausbildungsbegleitung, Hintergründe der Berufsbildenden und Erfahrungen mit der Umsetzung von Inklusion im Betrieb. Aus diesem Datenpool werden ca. vier Branchen und rund 15 Betriebe ausgewählt, welche vertieft untersucht werden. Hier kommen qualitative Verfahren zum Einsatz, indem verschiedene Personen (Jugendliche, Betriebsbildende, Jobcoaches, weitere Fachpersonen, evtl. Berufsschullehrpersonen) einzeln und in Fokusgruppen interviewt werden. Aus diesem Befragungsteil resultieren Situationsvignetten, welche Herausforderungen bei Jugendlichen mit Beeinträchtigungen in verschiedenen Arbeitssituationen und mögliche Umgangsweisen aufzeigen (Rosenberger, 2016).

Schritt 2: Welche Handlungsansätze sind im Hinblick auf eine verbesserte Inklusion in den Betrieben im ersten Arbeitsmarkt erfolgsversprechend?

Im Rahmen von ca. sechs bis acht interaktiven branchenspezifischen Workshops, wird zusammen mit Betriebsbildenden, Jobcoaches, betroffenen Jugendlichen und weiteren Fachpersonen, Ideen für eine Verbesserung der Inklusion im Betrieb entwickelt. Es ist geplant, die Methode der Reflecting-Teams einzusetzen (Fasching & Felbermayr, 2019). Als Anregungen für die Diskussionen werden die erstellten Situationsvignetten (Schritt 1) verwendet. In den interaktiven Workshops sollen Erfahrungen der Fachpersonen sowie auch der Jugendlichen vertieft reflektiert und nach Lösungen bei herausfordernden Situationen gesucht werden. Der Ansatz des Reflecting-Teams wird vor allem in Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern der Universität Würzburg umgesetzt, welche diese Methode im Rahmen von wissenschaftlichen Studien weiterentwickelt haben.

Schritt 3: Wie müssen Ausbildungsgefässe gestaltet werden, um eine gute Inklusion zu gewährleisten?

Hier liegt der Fokus auf den Ausbildungsgefässen in Betrieben. Diese sollen genauer analysiert werden, und auf der Basis der bisherigen Erkenntnisse des Projektes Lücken identifiziert werden, wo es Weiterentwicklungen für eine verbesserte Inklusion von Lernenden mit Beeinträchtigungen (z.B. betriebliche Anpassungen, Umsetzung von Unterstützungsmassnahmen) bedarf. Ein Ziel dabei ist auch, den Unterstützungsbedarf der Ausbildungsverantwortlichen zu klären und die Frage nach relevanten Themen für die Aus- und Weiterbildung von Berufsbildner:innen zu stellen.

Dazu erfolgt zuerst eine Synthese der Ergebnisse der ersten beiden Schritte, indem die Situationsvignetten und die darauf aufbauenden Handlungsansätze für die Verbesserung der Inklusion im Betrieb schriftlich aufbereitet werden (z.B. in Form eines Leitfadens). Nach zusätzlicher Sichtung von Bildungsverordnungen und Bildungsplänen verschiedener Branchen werden allfällige Lücken und Erweiterungsmöglichkeiten skizziert. Die so entstandenen Ideen und Ansätze werden einer erweiterten Projektgruppe vorgestellt und partizipativ weiterentwickelt. Wichtig ist auch in diesem Schritt der partizipative Ansatz, indem Jugendliche mit einer Beeinträchtigung, welche bereit sind, bei der Entwicklung von Handlungsempfehlungen mitzuwirken, in die Projektgruppe einbezogen werden.

Erwartete Ergebnisse

Das angewandte Forschungs- und Entwicklungsprojekt ist nicht nur darauf angelegt, die Umsetzung der inklusiven Berufsausbildung nach dem Modell der unterstützten Beschäftigung/Ausbildung systematisch zu überprüfen, sondern wird auch Empfehlungen zur Verbesserung der Berufsausbildung für Menschen mit Beeinträchtigungen entwickeln.

Durch die Ableitung von Handlungsempfehlungen für betriebliche Ausbildungsverantwortliche/Ausbildende wird ein praktischer Mehrwert zur Umsetzung der inklusiven Berufsbildung generiert, der bisher nicht vorliegt, aber wichtig ist für die Weiterentwicklung und Professionalisierung derselben. Wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen können den Ausbildungsverantwortlichen/Ausbildenden Sicherheit vermitteln, den Ausbildungserfolg verbessern und Lehrvertragsauflösungen vermeiden. Das sind wichtige Voraussetzungen für die nachhaltige Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen in den ersten Arbeitsmarkt und ihre gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft. Da im Rahmen des Projekts auch der Unterstützungsbedarf der Ausbildungsverantwortlichen/Ausbildenden geklärt wird, können die Ergebnisse zudem als Ausgangspunkt für die Entwicklung weiterer Angebote (z.B. Beratungsangebote für Betriebe, Weiterbildungen für Berufs- und Praxisbildner:innen sowie Jobcoaches) genutzt werden.

Literatur

  • Bond, G. R., Drake R. E., & Becker, D. R. (2012). Generalizability of the Individual Placement and Support (IPS) model of supported employment outside the US. World Psychiatry, 11(1), 32–39.
  • Bosset, I., Hofmann, C., Duc, B., Lamamra, N., & Krauss, A. (2022). Premature Interruption of training in Swiss 2-year apprenticeship through the lens of fit. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 44(2), 277–290.
  • Fasching, H., & Felbermayr, K. (2019). «Please, treat me respectful»: partizipative Forschung mit Jugendlichen mit Behinderung zu ihren Kooperationserfahrungen im Übergang von der Schule in (Aus-) Bildung und Beschäftigung. Zeitschrift für Heilpädagogik, 70(9), 442–453.
  • Hofmann, C., & Schaub, S. (2016). Junge Berufsleute mit Beeinträchtigungen beim Einstieg in den Arbeitsmarkt und die Rolle von «Supported Education». Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 30.
  • Lulaj, T. (2023). Die Bedeutung der Sonderpädagogik auf der Sekundarstufe II: Wie Ausbildungen für Jugendliche mit Förderbedarf gelingen können. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 29(1), 29–35.
  • Rosenberger, K. (2016). Fall-Vignetten. Ein methodisches Instrument in der Bildungsforschung. Forschungsperspektiven, 7, 203–215.
  • Sempert, W., & Kammermann, M. (2011). Über die Problematik der Berufsbildung im niederschwelligen Bereich. Zeitschrift für Heilpädagogik, 17(3), 16–21.
  • Stein, R., & Kranert, H.-W. (2020). Inklusion in der Berufsbildung im kritischen Diskurs. Frank & Timme GmbH.
  • Zemp, A., & Staub, J. (2022). Die inklusive Berufsausbildung: Revolution des zweiten Arbeitsmarkts? Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 28(12), 44–50.