SARZUERICH – Eine Schülerfirma mit Drive

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15 Jugendliche der Sekundarschule am Rigiplatz gründeten 2017 zwei Firmen, mit denen sie Esswaren, Kosmetik und Handyhüllen herstellen und vermarkten. Das Projekt läuft im Rahmen einer Aktionsforschung an der HfH, an welcher Oliver Hengartner, SHP, sein Masterstudium absolviert.

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SARZUERICH konkret

Das Projekt «Schülerfirma» erprobt mit Teenagern den Übergang von der Schule ins Berufsleben unter besonderen Bedingungen. Die Jugendlichen sind herausgefordert, möglichst selbstgeleitet eigene Einkommensquellen zu erschliessen und das Arbeiten zu üben. Sie entschieden autonom, selbst gemachte Produkte auf lokalen Märkten zu verkaufen. Auf der Suche nach Startkapital-Geber über ein Crowdfunding portraitierten sie ihr Projekt im April 2018 wie folgt:

«Wir sind eine Gruppe von 15 Teenager im Alter von 12 bis 16 Jahren, die es wagen im Rahmen eines Schulprojekts zwei Schülerfirmen zu gründen. Schülerfirmen sind kleine «Simulation», bei denen wir erste Versuche in der Selbstständigkeit wagen. Weiter geht es um Einblicke in demokratische Abläufe oder die Verbesserung der Selbständigkeit als Vorbereitung für spätere Berufslehren. Bisher haben wir die Firmen gegründet, unsere Firmen selber benannt, das Logo kreiert, Produkt-Testversuche durchgeführt, eine Website erstellt (www.sar-zuerich.comWebseite der Schülerfirma öffnen), unseren Auftritt in den sozialen Netzwerken gestaltet, Werbung verfasst und mit der Polizei abgeklärt, wo wir was verkaufen gehen dürfen.»

Während der «Gründungsphase» wurde die Stossrichtung der «Schülerfirmen» bestimmt. In der «Geschäftsphase» soll nun das Startkapital durch die Produktion und den Verkauf von Produkten oder dem Erbringen von Dienstleistungen gesteigert werden. Der erwirtschaftete Gewinn wird nach dem Schuljahr zur Belohnung in einen Ausflug umgewandelt.

Firma als Lernfeld der Schüler

Den Jugendlichen aus Sonderschulen fehlen beim Einstieg in die Berufslehren oftmals arbeitsrelevante Basiskompetenzen. Dazu gehören Bereiche wie Personal-, Methoden- oder Sozialkompetenzen, die Ausbildung exekutiver Funktionen und der Metakognition.

Diese überfachlichen Kompetenzen wurden vorgängig mithilfe des Programms «Das eigene Lernen verstehen – DELV» gefördert. Die Evaluation deckte auf, dass die Effekte bloss innerhalb des Programmbereiches positiv waren (z.B. genaueres und reflektiertes Arbeiten). Das neue Wissen wurde nicht in andere Arbeitsbereiche (Schulstunden oder Schnupperlehren) transferiert. So entstand die Projektidee, erwünschte überfachliche Kompetenzen direkt dort zu üben, wo sie später gebraucht werden: beim Arbeiten.

Seit dem Herbst 2017 arbeiten die Teenager wöchentlich einen Halbtag in der Schülerfirma. In regelmässigen Firmenkonferenzen bestimmen sie über Inhalt und Form der Firma. Die anfänglichen Ängste gegenüber dieser offenen, dynamischen, adaptiven und bedeutsamen Unterrichtsform sind vielen positiven Erfahrungen gewichen. Es hat sich insbesondere gezeigt, dass auch Jugendliche mit Problemverhalten oder sonst starken Aufmerksamkeitsproblemen zu viel grösseren Leistungen fähig sind, wenn sie zielorientiert und interessengeleitet in die Arbeit eingebunden werden. Leitend sind dabei in Anlehnung an Moran & Gardner (2007, S.19) die drei simplen Faktoren für erfolgreiches Lernen: «Hill, skill, and will». «Hill» meint das Ziel, «skill» die Fertigkeit, es anzupacken, und «will» den Willen, das zu tun».

Schülerfirma als Lernfeld für Lehrer und die Schule

Die Angst vor dem Neuen beschlich auch die Pädagogen: «Verpassen die Jugendlichen nicht viel Schulstoff, wenn sie vier Lektionen pro Woche anders arbeiten? Wird ihr Lernrückstand dadurch nicht noch grösser?» – Darauf kann differenziert geantwortet werden: Wenn die gewohnten Lektionen Massstab sind, dann stimmt die Schlussfolgerung, dass Stunden verloren gehen. Wenn jedoch das Motto «ein Projekt-viele Fächer» und wenn Lernen als Auseinandersetzung mit Lebenswirklichkeit verstanden wird, dann können überraschende Gewinne beobachtet werden. Die Arbeit in der Firma weist Bedarf nach vielfältigen schulische Tätigkeiten auf: das Berechnen von Kosten, von Stückpreisen, von Einkaufslisten, usw. Die Schriftsprache wird beim Verfassen und Überarbeiten von Flyern, Werbetexten, der Homepage, usw. auf die Probe gestellt. Wir Lehrpersonen konnten auf die Überredungskünste bei ungeliebten Schultätigkeiten verzichten. Die Schülerfirma motivierte wie von selbst. Das ganzheitliche und handelnde Lernen in der Projektform («learning by doing») erleichtert bedeutsames Bilden und differenziertes Üben der überfachlichen Basiskompetenzen und Kulturtechniken. In Anlehnung an Kaiser (2015) werden nicht nur die Mathematik, sondern auch andere Fächer vom Kopf auf die Füsse gestellt. Eine Schülerfirma ist in gewissem Sinn ein «Tun als ob» oder ein Spiel (vgl. Bodrova & Leong, 2015):

Im Spiel ist ein Kind immer über seinem Durchschnittsalter, über seinem alltäglichen Verhalten; im Spiel ist es, als wäre es einen Kopf grösser als es selbst. Das Spiel enthält alle Entwicklungstendenzen in verdichteter Form, wie im Brennpunkt einer Lupe; im Spiel ist es, als ob das Kind versucht, über das Niveau seines normalen Verhaltens zu springen. (vgl. Vygotsky, 1967, zit. nach Bodrova & Leong, 2015, S.371; Übers. S. Meyer).

Die Regeln der Schülerfirma und die Prozesse des Entwicklungsprojektes gewährleisten, dass neue Produktionsverhältnisse, neue Rollen und Produktionsweisen erfahren werden können. Die Vermarktungsprozesse erzeugen Feedbacks, welche über die schulischen Beurteilungen hinausgehen. Alle Beteiligten finden sich in neuen Rollen wieder. Systemisch betrachtet wachsen auch wir Lehrpersonen um einen Kopf über den Durchschnitt hinaus.

Aktionsforschung und Qualität

Evaluationen aus verschiedenen Blickwinkeln und mit verschiedenen Methoden sollen aufzeigen, wie gut die Ziele wirklich erreicht werden. Dieses Vorgehen bei der Qualitätskontrolle wird der Aktionsforschung zugeordnet, bei der Lehrpersonen ihren Unterricht entwickeln und erforschen. Dieser Prozess wird im Rahmen einer Masterarbeit von der HfH begleitet und supervidiert. – Die Projektmethode und die Aktionsforschung stellen die Ressourcen und die Interessen der Subjekte ins Zentrum. Auf diesem Fundament baut die Bildung der Autonomie, der Sozialisation und der Kompetenzen auf, wie der Bologneser Integrationsforscher, Nicola Cuomo (1989, 2007; vgl. auch Imola, 2010) belegen konnte. Die Schülerfirma, SARZUERICH, ist flott unterwegs. Der Schlussbericht liegt anfangs September 2018 vor. Er wird den integrationspädagogischen Diskurs bestimmt auch theoretisch bereichern.

Literatur

  • Bodrova, E., Leong, D.J. (2015). Vygotskian and Post-Vygotskian Views on Children’s Play. American Journal of Play, 7(3), 371-388.
  • Büchel, F. P. & Büchel, P. (2012). Das eigene Lernen verstehen. Das Handbuch zum DELV-Programm (2., verb. Aufl.). Bern: hep der Bildungsverlag.
  • Cuomo, N. (1989). «Schwere Behinderungen» in der Schule. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.
  • Cuomo, N. (2007). Verso una scuola dell'emozione di conoscere. Il futuro insegnante, insegnante del futuro. Pisa: Edizioni ETS.
  • de Haan, G. (Hrsg.). (2013). Nachhaltige Schülerfirmen. Handreichung: gründen, umsetzen, gestalten. Berlin: Freie Universität Berlin. 
  • Imola, A. (2010). Empathie und verstehen. Die Methode von Nicola Cuomo (R. Sauer & S. Meyer, Übers.). L’emozione di conoscere e il desiderio di esistere, Rivista, n° 13, 2011. Verfügbar unter: http://www.rivistaemozione.com [18.03.2018]
  • Kaiser, H. (2015). Fachrechnen. Vom Kopf auf die Füsse gestellt. Bern: hep verlag ag.
  • Kaminski, H. & Schröder, R. (2011). Praxis Wirtschaft: Praxis: Arbeitsheft Schülerfirma Braunschweig: Westermann. Moran, S. & Gardner, H. (2007). «Hill, skill and will»: Executive function from a multiple-intelligences perspective. In L. Meltzer (Hrsg.), Executive function in education. From theory to practice (S. 19–38). New York: Guilford.

Autoren:

HfHnews Mai 2018

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Fakten

  • Erscheinungsweise ca. sechs Mal jährlich
  • Inhalt Hausmitteilungen der HfH
  • Adressaten Mitarbeitende, Studierende, Hochschulrat und Interessierte
  • Verantwortlich Prof. Dr. Barbara Fäh, Rektorin der HfH
  • Redaktion Sabrina Demergi, MSc Sabine Hüttche