Teilhabe als Kompass

Jahresbericht 2023

Vorwort von Dr. Irene Kranz, Hochschulrätin Fürstentum Liechtenstein, Leiterin Abteilung pädagogisch-psychologische Dienste für den Jahresbericht 2023

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Barbara Fäh Titel Prof. Dr.

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Rektorin

«Zurück zur Kleinklasse!» So oder ähnlich lauteten im Jahr 2023 viele Schlagzeilen. Kinder und Jugendliche mit Verhaltensproblemen seien eine zu grosse Belastung für die Lehrpersonen, und die anderen der Klasse würden am Lernen gehindert. Der mediale Ruf nach Kleinklassen war nicht neu. Aber nun wurden in einer Reihe von Kantonen bildungspolitische Vorstösse lanciert, die dem Thema zusätzlich Gewicht verliehen.

Bildung für Alle langfristig denken. In solchen Situationen muss sich die HfH klar entscheiden, wie sie sich öffentlich positioniert. Sie entschied sich für einen zweifachen Weg. Einerseits informierte sie über aktuelle Forschungsbefunde zu den Vor- und Nachteilen der schulischen Integration und ordnete diese ein. Andererseits brachte sie sich stark in die Diskussion ein und prägte sie. So wurde an der Hochschule ein sehr gut besuchtes Podium durchgeführt, bei dem alle Lager zu Wort kamen und entsprechend kontrovers diskutiert wurde. Fazit des HfH-Round-Table: Man muss die Lehrpersonen kurzfristig entlasten, ohne die Kinder langfristig zu belasten. Eine solche Belastung würde bei einer Karriere in der Kleinklasse aber drohen, weil der spätere Berufseinstieg dadurch häufig erschwert wird.

Time-out, Schulinseln, erweiterte Lernräume – das wird die HfH noch über 2023 hinaus beschäftigen. Dabei zeigt sich: Bildung für Alle bedeutet nicht, dass immer alle im gleichen Schulraum unterrichtet werden. Sondern dass alle Kinder die bestmögliche Bildung erhalten. Doch was heisst das genau? Meines Erachtens muss sich Bildung immer am eigentlichen Ziel orientieren, das übergeordneter Natur ist: der Teilhabe jedes Menschen an der Gesellschaft. Teilhabe heisst, dass alle Menschen ein sichtbarer Teil der Gesellschaft sind. Das ist der Kompass, an dem wir uns ausrichten können. Daran kann der Bildungserfolg langfristig gemessen werden.

Teilhabe an der Gesellschaft konkretisieren. Was das konkret bedeutet, konnte man 2023 im Rahmen der Veranstaltungen zum 50-jährigen Jubiläum des Studiengangs Logopädie sehen. Während die Ausbildung früher vor allem auf die Tätigkeit als Logopädin an einer Schule ausgerichtet war, ist sie in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet worden. Heute beschäftigen sich die Studierenden zusätzlich mit erwachsenen Patienten, die nach einem Schlaganfall wieder sprechen lernen müssen, oder Kindern im Autismus-Spektrum, die keine Lautsprache haben. Aus der Perspektive der Teilhabe sieht man nun die Bildungserfordernisse klarer. Erwachsene müssen nach einem Schlaganfall vergessene Wörter neu lernen, damit sie wieder in die Bäckerei gehen können. Und Kinder im Autismus-Spektrum müssen dabei unterstützt werden, sich in einer Gruppenarbeit einbringen zu können.

Bildung für Alle heisst, dass alle Kinder die bestmögliche Bildung erhalten.

Die HfH wird die Frage nach der Teilhabe im Jubiläumsjahr 2024 noch stärker ins Zentrum rücken. In der Kampagne «Teilhabe ist, wenn …» teilen Betroffene und Fachleute ihre Ansichten und Erfahrungen im Rahmen einer Fotoausstellung und mit Videostatements. Mit Bezug auf die eingangs erwähnten Kinder und Jugendlichen möchte ich gern ergänzen: Teilhabe ist, wenn auch schüchterne Jungen und Mädchen mit ADS in der Klasse die Erfahrung machen, gesehen und gehört zu werden, obwohl sie keinen «Radau» veranstalten.