Emotionale Intelligenz fördern und Lehrpersonen entlasten: Das Tuning in to Kids – Emotions-Coaching

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Eltern und Lehrpersonen sind die wichtigsten Erziehungs- und Beziehungspersonen von Kindern. Wenn sie lernen, Emotionen von Kindern wahrzunehmen, aufzugreifen, zu begleiten und zu «coachen», profitieren alle: Kinder lernen den gesunden Umgang mit unangenehmen Emotionen, z. B. Angst, Ärger oder Wut. Kindliche Verhaltensauffälligkeiten nehmen ab, emotionale Kompetenzen beim Erwachsenen und beim Kind nehmen zu und die Beziehung wird entlastet.

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Susan Christina Annamaria Burkhardt Titel Dr. phil.

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Advanced Researcher

Angst, Wut, Traurigkeit, Freude, Scham – Wie können wir auf eine gesunde Art und Weise mit unseren Gefühlen umgehen? Diese Fähigkeit zu erlernen, ist eine der wichtigsten Aufgaben in der Kindheit. Auch die Schule hat, spätestens seit dem Lehrplan 21, den Auftrag, sozio-emotionale Kompetenzen der Kinder zur fördern.

Wie gehen erwachsene Bezugspersonen auf kindliche unangenehme Emotionen ein?

Nach Gottman & DeClaire (1997) gibt es vier verschiedene Arten, wie erwachsene Bezugspersonen auf kindliche unangenehme Emotionen (z.B. Angst, Wut, Neid, Traurigkeit…) eingehen. Diese lassen sich in der Interaktion von Kindern und Erwachsenen beobachten und nachweisen:

  1. Emotionsnichtbeachtung (z.B. beschwichtigen, ablenken),
  2. Emotionen bestrafend,
  3. laissez-faire und
  4. Emotionscoaching.

Dabei hat sich der Erziehungsstil des «Emotionscoachings» als für die sozio-emotionale Entwicklung des Kindes (z. B. seine Emotionsregulation, emotionaler Wortschatz, Erkennen von Emotionen usw.) und für die Beziehung zwischen Kind und Bindungsperson als der gesündeste herausgestellt. 

Zahlreiche wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass die Fähigkeit zum Umgang mit Gefühlen in der Vorbeugung von psychischen Erkrankungen und Verhaltensproblemen sehr wichtig ist. Eltern und Lehrpersonen können Kinder entscheidend darin unterstützen, den gesunden Umgang mit Gefühlen zu lernen. Eine gut beforschte und einfach zu erlernende Möglichkeit, wie das gehen kann, ist das Programm Tuning in to kids – Sich in Kinder einfühlen (TIK). 

Was ist TIK und an wen richtet sich das Programm?

Tuning in to kids (TIK) ist ein Erziehungsprogramm aus Australien, in dem Eltern und andere (professionelle) Bezugspersonen lernen, auf kindliche Emotionen einzugehen und sie zu begleiten, zu coachen. TIK integriert Methoden der Achtsamkeit, emotions-fokussierter Therapie, Tiefenpsychologie, Bindungstheorie, Neurowissenschaft und Entwicklungspsychologie und eignet sich für Eltern und Bezugspersonen mit Kindern im Altersbereich von drei bis zehn Jahren. (Wirksame Adaptationen von TIK für Eltern von Kleinkindern (Tuning in to Toddlers, 1,5–4 Jahre) und Teenagern (Tuning in to Teens, 11–16 Jahre) gibt es, jedoch noch nicht in der Schweiz.

Wirksamkeit von TIK

Inzwischen gibt es Wirksamkeitsnachweise von TIK aus verschiedenen Ländern und Kulturen von fast allen Kontinenten (Australien, Asien, Nord- und Südamerika, Europa). In der Schweiz haben in einem Forschungsprojekt der HfH in den Jahren 2021 und 2022 115 Familien aus acht Kantonen und Deutschland an TIK teilgenommen und davon profitiert (Forschungsprojekt: Tuning in to kids (TiK) – Emotionscoaching für Eltern zur Prävention von emotionalen und Verhaltensproblemen ihrer Kinder sowie zur Verbesserung des Familienklimas). Übereinstimmend konnte bestätigt werden, dass sich durch TIK 

  • Das Familienklima beruhigt 
  • Verhaltensprobleme (internalisierend und externalisierend) der Kinder zurückgehen  
  • Die Bindung und Beziehung sich verbessert, auch bei Lehrpersonen und Schüler:innen  
  • Eltern sich weniger belastet fühlen.

Und dies auch bei «unauffälligen» Kindern, Kindern mit Verhaltensproblemen oder gar traumatischen Erfahrungen. Somit ist TIK auf allen Interventionsstufen (als universelle, selektive und auch als indizierte Intervention) ein erfolgreicher Ansatz zur Reduktion von Verhaltensschwierigkeiten durch die Förderung der sozio-emotionalen Entwicklung und psychischen Gesundheit von Kindern und daher auch für Lehrpersonen interessant und relevant, gerade in integrativen Schulen. Zudem: Wenn die Erwachsenen sich weniger belastet fühlen, wirkt sich das auch auf deren Gesundheit und Wohlbefinden aus.

Fünf Schritte des Emotionscoachings

Konkret besteht das Emotionscoaching nach Gottman & DeClaire aus den folgenden fünf Schritten: 

  1. Sich der Emotionen des Kindes bewusstwerden, insbesondere wenn sie noch nicht sehr intensiv sind.
  2. Die Emotionen des Kindes als Gelegenheit für Beziehung sehen und um etwas über Emotionen zu lernen.
  3. Empathisch zuhören und die Gefühle des Kindes validieren (sich einfühlen, «to tune in»).
  4. Dem Kind dabei helfen, Worte zu finden, um die Emotion zu beschreiben und im Körper zu lokalisieren.
  5. Unangemessenem Verhalten Grenzen setzen und/oder das Kind beim Problemlösen unterstützen.

Manchmal braucht es gar nicht alle fünf Schritte – wenn doch, so ist anzumerken, dass der Grundsatz von TIK lautet «Jedes Gefühl und jeder Wunsch ist erlaubt, aber nicht jedes Verhalten». Im fünften Schritt übt das Kind, mit dem Erwachsenen, eine sinnvolle Lösung für die Situation zu finden. Somit werden auch seine Problemlösekompetenzen gestärkt und es erlebt Autonomie und Selbstwirksamkeit. 

TIK umfasst in der klassischen Variante sechs wöchentliche Gruppentreffen à 2 Stunden und nutzt zur Vermittlung der Inhalte Psychoedukationsmodule und Gruppendiskussionen, Rollenspiele, erlebnisorientiertes Lernen und Entspannungsverfahren. Anhand konkreter Beispiele werden die Schritte im vorbereiteten und freien Rollenspielen und spezifischen Übungen ausprobiert und darüber ausgetauscht. Teilnehmende werden darüber hinaus ermutigt, Strategien zur eigenen emotionalen Selbstfürsorge zu finden, da die eigene Emotionsregulation die Voraussetzung dafür ist, fremde (kindliche) Emotionen coachen zu können.

Teilnehmer:innen berichten übereinstimmend, dass dieser neue Umgang mit Emotionen so manche bisher schwierige Situation entschärft und aufgelöst hat. Problematische Situationen eskalieren nicht mehr automatisch, sondern werden konstruktiv gelöst, ehe die Emotion zu stark und kaum mehr zu bändigen und das Nervensystem des Kindes ein bisschen überfordert ist. Dann müsste das Kind sich wiederum erst beruhigen, damit es aufnahmefähig ist für ein Gespräch. 

Im Frühjahr 2023 wurde TIK erstmals in der Schweiz mit Lehrpersonen der Primarstufe im Rahmen einer Online-Weiterbildung angeboten. Die Resonanz war sehr positiv und die Fortschritte und Erfahrungen, die die Teilnehmerinnen von Woche zu Woche berichteten, waren sehr beeindruckend und ermutigend. Viele berichteten davon, nun endlich befreiter mit kindlichen Emotionen umgehen zu können und endlich zu wissen, was ihre Rolle und Aufgabe ist. Diese Entlastung war im Kurs deutlich spürbar und schlägt sich auch in der Kursevaluation nieder. 

Eine aktuelle Weiterentwicklung von TIK ist der «whole school approach», in den neben Eltern und Kindern auch die Lehrpersonen und andere schulische Fachpersonen eingebunden werden. Nachweislich wirken Interventionen am besten, wenn sie von der ganzen Schule mitgetragen und auf Schulebene implementiert werden. Dieser neue, systemische 360°-Ansatz von TIK ist möglicherweise eine Antwort auf die brennenden Probleme der integrativen Schule in der Schweiz: Lehrpersonen werden entlastet, erleben sich als kompetenter, das Schulklima beruhigt sich, Verhaltensauffälligkeiten gehen zurück und die Eltern können kompetente Partner:innen der Schule sein, weil Schule und Elternhaus an einem Strang ziehen und sich nicht widersprechen. Ab 2024 ist hierzu ein Forschungsprojekt der HfH geplant, in dem die Machbarkeit und die Akzeptanz des systemischen Einsatzes von TIK in der Schule in der Schweiz überprüft werden soll. Unabhängig davon werden laufend TIK-Kurse für Lehrpersonen über das Weiterbildungsprogramm der HfH angeboten und sind auch als Abrufkurse buchbar. Der nächste TIK-Online-Kurs findet vom 28. Februar–3. April 2024 statt und findet sich bald im HfH-Weiterbildungsplaner. 

Autorin: Susan C. A. Burkhardt, Dr. phil., Advanced Researcher, HfH