Gleichberechtigte Teilhabe an Bildung für alle
Kategorie Institutsthema
Bildung für alle ist ein erklärtes Ziel der HfH. Doch auf dem Weg dorthin ergeben sich vielfältige Fragen und Herausforderungen.
In unserer Gesellschaft werden vielfältige Fähigkeiten und Fertigkeiten gebraucht. Teilhabe an Bildung ermöglicht allen Lernenden, ihre individuellen Potenziale zu entdecken und zu entfalten. Deshalb ist es unabdingbar, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie eine gleichberechtigte Teilhabe gelernt und gelehrt werden kann. Teilhabe an Bildung meint mehr als einfach nur dabei sein:
- Welche Bildung brauchen Kinder und Jugendliche heute und in Zukunft?
- Sind alle Bildungsinhalte für alle gleichermassen relevant?
- Wie können wir die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Kindern und Jugendlichen berücksichtigen, damit sie gleichberechtigt an Bildung teilhaben können?
Teilhaberisiken in institutionalisierten Bildungsprozessen
Wie die Bildungsforschung seit mehr als 60 Jahren zeigt, werden schulische Bildungswege durch ungleiche Voraussetzungen und Lebenssituationen geprägt. Entsprechend lassen sich drei herausfordernde Felder für inklusive Schul- und Unterrichtsentwicklung benennen:
- Bildungssystem und seine Akteure und Akteurinnen
- Familie und soziales Umfeld
- Schülerinnen und Schüler
Bildungssystem und seine Akteur:innen. Die Heil- und Sonderpädagogik steht seit ihren Anfängen unter Kritik zu Exklusionsprozessen beizutragen, beispielsweise über Stigmatisierungen. Ausserdem wird bemängelt, dass Bildungsinstitutionen sich in ihren Inhalten, Methoden, Zielen und Werten stark an der Mittelschicht orientieren. Dies kann dazu führen, dass Menschen, die nicht dieser sozialen Gruppe angehören, sich mit Bildungsinstitutionen nicht identifizieren können oder dass für sie relevante Inhalte gar nicht erst in Bildungseinrichtungen angeboten werden. Eine faire Teilhabe an Bildung wird beispielsweise durch starke hierarchische Strukturen innerhalb der Bildungseinrichtungen erschwert. Diese zeigen sich unter anderem in einem Mangel an demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten von Eltern sowie Schüler:innen innerhalb des Systems. Auch die ungleiche Verteilung von Ressourcen innerhalb des Bildungssystems durch den sozio-ökonomischen Status der Eltern kann zu Bildungsungerechtigkeiten und Bildungsungleichheiten führen. So verfügen Schulen in wohlhabenden Gegenden (z. B. mit Hilfe von Fördervereinen) über eine bessere Ausstattung an Lehrmaterialien oder modernste Technologie. Hinzu kommt, dass Ausflüge oder Klassenfahrten von den Eltern unterstützt und sogar gefördert werden.
Neben den Strukturen bestimmen aber auch die sozialen Akteure innerhalb des Systems die Exklusionsprozesse mit und können diese verschärfen. So wird immer wieder auf fragwürdige Schulformzuweisungen, strittige Leistungsbeurteilungen und mittelschichtsorientierten Erwartungshaltungen seitens der Pädagog:innen aufmerksam gemacht, die Kinder aus nicht mittelschichtsgeprägten Milieus weniger leicht erfüllen können.
Familie und soziales Umfeld. Teilhabe an Bildung wird auch durch die Herkunftsmilieus selbst determiniert. Eltern aus einkommensschwächeren Schichten setzen beispielsweise deutlich seltener ehrgeizige Bildungsziele für ihre Kinder. Es bestehen Befürchtungen, sich durch eine längere Schullaufbahn, weite Schulwege oder mehr Schulmaterialkosten finanziell zu überfordern. Bildung darf demnach in bestimmten Mileus kein Selbstzweck sein, sondern sollte nutzenorientiert z. B. ins Geldverdienen münden. Eltern machen sich zudem Sorgen, dass sie ihr Kind aufgrund ihres eigenen niedrigeren Bildungsabschlusses sowohl auf der fachlichen wie auch sozialen Ebene nicht angemessen unterstützen können, sollte es einen höheren Schulabschluss anstreben.
Schülerinnen und Schüler. Obwohl Bourdieu und Passeron bereits 1971 darauf hingewiesen haben, dass Bildungsverläufe stark von den sozialen Lebensumständen und den damit einhergehenden Gewohnheiten und Verhaltensweisen (Habitus) beeinflusst werden, werden diese Aspekte, bei der pädagogisch-didaktischen Gestaltung von Teilhabe an Bildung bisher wenig bis kaum berücksichtigt. Stattdessen liegt der Fokus auf der Förderung intellektueller, motorischer und psychosozialer Fähigkeiten, um eine erfolgreiche Teilnahme an Bildung zu ermöglichen.
Neuere Studien weisen jedoch eindrücklich darauf hin, welche Leistungen erbracht und welche Ängste überwunden werden müssen, um einen Milieuwechsel zu vollziehen.
Inklusionsorientierte Teilhabe als pädagogische Aufgabe
Inklusion verfolgt das normative Ziel, eine gleichberechtigte Teilhabe von marginalisierten und von Marginalisierung bedrohten Menschen zu ermöglichen. Inklusionsorientiertes pädagogisches Handeln zielt deshalb auf eine Verbesserung des Zusammenspiels von bio-psycho-sozialen Faktoren im Kontext von Bildung – mit dem Ziel der gleichberechtigten Teilhabe an Bildung. Entsprechend verfolgen die Forschungen und Entwicklungen am Institut für Lernen unter erschwerten Bedingungen folgende Fragestellungen:
- Wie kann Schule allen gerecht werden (im Kontext von Bildungsgerechtigkeit und Chancengerechtigkeit)?
- Wie kann Teilhabe gelehrt und gelernt werden?
Prof. Dr. Kathrin Müller ist Professorin für Inklusion und chancengerechtes Lernen. Sie hielt ihre Antrittsvorlesung zum Thema «Teilhabe lehren und lernen». Aus pädagogischer Sicht braucht es eine vertieftere Auseinandersetzung mit diesem Thema. Welche Rolle spielt dabei Inklusion? Erfahren Sie mehr im nachfolgenden Video-Interview.
Kathrin Müller hielt ihre Antrittsvorlesung zum Thema «Teilhabe lehren und lernen».
Links
- Antrittsvorlesung
Prof. Dr. Kathrin Müller zum Thema «Teilhabe lehren und lernen»