Lernwege selbstbestimmt gestalten

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Wie können Lehr- und Lernprozesse so gestaltet werden, dass Vielfalt ihr volles Potenzial entfalten kann und als Stärke gesehen wird? Prof. Dr. Daniela Freisler-Mühlemann zeigte in ihrer Antrittsvorlesung «Lernen in einer Kultur des Wandels» Prämissen auf.

Kontakt

Daniela Freisler-Mühlemann Titel Prof. Dr.

Funktion

Leiterin Institut Lernen unter erschwerten Bedingungen / Prof.

Prof. Dr. Daniela Freisler-Mühlemann ist seit 1. August 2023 Leiterin des Instituts für Lernen unter erschwerten Bedingungen und Mitglied der Hochschulleitung. Sie übernahm die Funktion von Prof. Dr. Claudia Ziehbrunner, die das Institut ab 2017 geleitet und aufgebaut hatte. Das Institut beschäftigt sich mit Lehr- und Lernprozessen, die durch individuelle Voraussetzungen und Umweltbedingungen beeinflusst werden. Mehr zum Institut

Die Rektorin der HfH Prof. Dr. Barbara Fäh begrüsste die Gäste mit einigen einleitenden Worten zum beruflichen Weg von Daniela Freisler-Mühlemann. Dieser war stets von gesellschaftlichen und bildungspolitischen Fragen begleitet, die Daniela Freisler-Mühlemann leidenschaftlich gerne erforscht. Ihre Erfahrungen aus Forschung und Entwicklung sowie aus der Praxis der Lehrer:innenbildung sind ein grosser Gewinn für die Hochschule, betonte die Rektorin.

Zum beruflichen Werdegang

Daniela Freisler-Mühlemann hat Pädagogik, Sonderpädagogik und Kriminologie an der Universität Zürich studiert. Danach war sie in verschiedenen sozialpädagogischen Institutionen tätig, unter anderem in der Stiftung Monikaheim, wo begleitetes Wohnen für Mutter und Kind in schwierigen Lebenssituationen gewährleistet ist. Ab 2009 war Daniela Freisler-Mühlemann für die Pädagogische Hochschule Bern tätig, an der eine beeindruckende Karriere ihren Lauf nahm: Als Forscherin und Projektleiterin hatte sie insbesondere die Biografien von Lehrpersonen im Blick und verantwortete das Schwerpunktprogramm «Berufsbiografien und Professionalisierung von Lehrpersonen» an der PH Bern. 2016 wurde sie zur Professorin ernannt. An die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (HfH) wechselte Daniela Freisler-Mühlemann aufgrund ihrer grossen Motivation, die Schnittstelle von Regel- und Sonderpädagogik mitzugestalten.

Ihre Ausführungen begann Daniela Freisler-Mühlemann mit einem einprägsamen Beispiel: Stellen wir uns das Bildungssystem als eine Reise vor. Einige Schüler:innen reisen im Intercity, einige scheinen in langsameren Zügen zu sitzen und gewisse müssen Umwege in Kauf nehmen. Wie können wir als Gesellschaft gewährleisten, dass alle die gleichen Chancen haben, das Ziel zu erreichen?

Lernen in einer Kultur des Wandels. Im Zentrum steht das Anliegen, dass sich Lernende ganzheitlich entwickeln, ihre Lernwege selbstbestimmt gestalten und ihre Potenziale entfalten können. So bleibt das Bildungssystem stets gefordert, den sich wandelnden Bedürfnissen aller Lernenden und der Gesellschaft gerecht zu werden. Von hoher Relevanz für die Hochschulen sind insbesondere:

  • Digitale Technologien: Die künstliche Intelligenz wird das Lernen nachhaltig verändern, beispielsweise können durch Virtual Reality (VR) interaktive Lernumgebungen gestaltet werden und das Verständnis sowie die Partizipation der Lernenden gefördert werden. Die Reportage «Den Schulweg virtuell trainieren» gewährt einen Einblick in das Kooperationsprojekt der HfH, der Stiftung Vivala und der ZHAW, in dem Lernende mit Beeinträchtigungen gefährliche Situationen im Strassenverkehr meistern.
  • Flexibilisierung des Lernens: Flexible Bildungsangebote kommen den unterschiedlichen Biografien der Lernenden entgegen und ermöglichen ihnen, ihre Lernwege entsprechend ihren Interessen, Stärken und Bedürfnissen selbstbestimmt zu gestalten. Der Einsatz von kooperativen Lernmethoden, Projektarbeit oder E-Learning kann die Lernerfahrungen der Schüler:innen bereichern und die Teilhabe aller am Unterricht gewährleisten.
  • Kompetenzorientiertes Lernen: Die Rollen und Erwartungen an Lehrpersonen ändern sich ebenfalls, von Wissensvermittler:innen zu Lernprozessbegleiter:innen. Lernen wird als lebenslanger Prozess verstanden, der aktiv gestaltet werden kann und in dessen Verlauf Kompetenzen entwickelt werden.

Prof. Dr. Daniela Freisler-Mühlemann an ihrer Antrittsvorlesung mit dem Titel «Lernen in einer Kultur des Wandels».

Chancengerechtigkeit, Diversität und Inklusion. Schulen sind als Abbild der Gesellschaft heterogen, vielfältig und divers. Inklusion ermöglicht es, von- und miteinander zu lernen. So können soziale Kompetenzen erworben werden, sodass die Teilhabe an der Gesellschaft für alle eine Selbstverständlichkeit wird.

Unterschiedlichen Perspektiven aufs Lernen. Neben den Ausführungen zum Wandel und den damit verbundenen Chancen und Gefahren wurden in der Antrittsvorlesung die unterschiedlichen Perspektiven auf den Gegenstand «Lernen» aufgezeigt: Aus Sicht der Psychologie sind besonders individuelle Lernprozesse und Themen wie Motivation, Verhalten sowie Emotionen interessant. Aus dem Blickwinkel der Soziologie werden ungleiche Bildungschancen und die Rolle von Bildungssystemen diskutiert. Die pädagogische bzw. erziehungswissenschaftliche Perspektive fokussiert Themen wie Schulentwicklung und die Interaktion zwischen Lehrpersonen und Lernenden. Und die Sonderpädagogik schliesslich konzentriert sich auf die individuellen Lernbedürfnisse von Lernenden mit besonderem Bildungsbedarf. Diese Perspektive anerkennt Vielfalt als Stärke. Gefordert werden barrierefreie Lernumgebungen, damit alle Lernenden an Bildung teilhaben können.

Spannungsfelder. Die widersprüchlichen Orientierungen im Bildungssystem werden als «Antinomien» bezeichnet. Diese entstehen in Unterrichtssituationen, der eigenen pädagogischen Haltung oder sind den Strukturen immanent. Daniela Freisler-Mühlemann hat drei Spannungsverhältnisse in einer SNF-Studie erforscht:

  • Individualität versus Gleichbehandlung: Die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Lernenden erfordern eine differenzierte Begleitung und Förderung. Gleichzeitig müssen die Lehrpersonen das Gebot der Gleichbehandlung befolgen.
  • Nähe versus Distanz: Die emotionale Anerkennung, welche für die Lernenden notwendig ist, steht im Gegensatz zur professionellen Distanz.
  • Autonomie versus Rechenschaft: Innerhalb der organisatorischen, gesellschaftlicher und individueller Handlungsrahmen entstehen Spannungsfelder zwischen Selbstbestimmung und Rechenschaftspflicht, die nur reflexiv aufzulösen sind.

Lehrpersonen müssen sich in einem Handlungsfeld bewähren, welches von den geschilderten Antinomien geprägt ist. Es geht darum, eine reflexive Haltung für und in der Praxis zu entwickeln. Entscheidend ist dabei, das Kind in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen und die multiprofessionelle Zusammenarbeit auf Ebene Schule zu stärken, aber auch der Einbezug von Eltern und Schüler:innen. Die pädagogischen Fachpersonen sind Teil eines Systems, welches funktionieren muss, damit die Schule zu einem Ort der Potenzialentfaltung wird. Im Rahmen der Jubiläumsaktivitäten entstand die Videoreihe «Voneinander wissen, voneinander lernen». In den einzelnen Beiträgen werden Gelingensbedingungen für eine Schule für alle vermittelt.

Vision für das Institut. Ihre Ausführungen schloss Prof. Dr. Freisler-Mühlemann mit einem Blick auf das Institut und die strategischen Themenfelder, mit denen es sich in Zukunft auseinandersetzen wird:

  • Lernprozesse und Lernentwicklung
  • Inklusion und chancengerechtes Lernen
  • Inklusives MINT-Lernen und -Lernentwicklung
  • ICT for Inclusion

Interessante Forschungsprojekte wurden bereits aufgegleist, wie das Erasmus+-Forschungsprojekt «Schule 4.0», oder sind in Vorbereitung. Neben Forschung ist das Institut mit Weiterbildungsangeboten vertreten, wie dem CAS Begabungs- und Begabtenförderung – integrativ sowie in der Ausbildung, beispielsweise mit dem Modul zu inklusionssensiblen Lehr- und Lernsituationen. Um die Tätigkeiten im vierfachen Leistungsauftrag abzurunden, wurde das Netzwerk Inklusive Bildung vorgestellt, welches als eine Plattform zur Vernetzung von diversen Akteur:innen dienen und einen Wissenstransfer sicherstellen soll.

Prof. Dr. Barbara Fäh beglückwünscht die neue Leiterin des Instituts für Lernen unter erschwerten Bedingungen zur gelungenen Antrittsvorlesung.

Prof. Dr. Daniela Freisler-Mühlemann im Austausch mit ihrem Doktorvater, Prof. Dr. Reinhard Fatke (UZH).

Prof. Dr. Ingo Bosse ist Professor für ICT for Inclusion im Institut für Lernen unter erschwerten Bedingungen. Das Thema ist ein wichtiger Pfeiler in der strategischen Ausrichtung des Instituts.

Die Antrittsvorlesung mit dem Titel «Teilhabe an Bildung: Lernen in einer Kultur des Wandels» fand am 4. Juni 2024 an der HfH statt und wurde online übertragen. Insgesamt nahmen rund 50 Gäste an der Veranstaltung teil.

Autorin: Kristina Vilenica, MA, Kommunikation, HfH