Wie es vom Seminar zur Hochschule kam

100 Jahre «Bildung für Alle»

Gestartet hatte das HPS vor 100 Jahren mit acht Studierenden. Es wuchs in der Folgezeit nicht nur zahlenmässig, sondern auch an Bedeutung in Forschung und Lehre. Daraus erwuchs 2001 die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik mit aktuell rund 1300 Studierenden.

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Barbara Fäh Titel Prof. Dr.

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Rektorin

Der Historiker Dr. Sebastian Brändli stellt in der Festschrift «Bildung für Alle: 100 Jahre HfH» auf rund 200 Seiten die Geschichte von Seminar und Hochschule auf der Grundlage von Jahresberichten, Protokollen und Gesprächen vor. Die Festschrift entführt in die Anfänge der Institution, benennt Persönlichkeiten und lässt teilhaben am wissenschaftsgeschichtlichen Diskurs der letzten 100 Jahre. Sebastian Brändli war von 2005 bis 2020 Präsident des Hochschulrates der HfH. Nachfolgend der Überblick in einer komprimierten Form.

Gründung des Heilpädagogischen Seminars (HPS)

1919 wurde der Verband Heilpädagogisches Seminar gegründet. Die Gründer rekrutierten sich hauptsächlich aus dem Kreis der Spezialklassen-Lehrer. Sie setzten sich für die Ausbildung von Lehrpersonen für taubstumme, «schwachsichtige» und «entwicklungsgehemmte» Kinder ein. Nachdem der Verband – mit Hilfe von Pro Juventute, von Gemeinnützigen Gesellschaften und der Politik – die Rahmenbedingungen geklärt hatte, wurden die Ausbildungsinhalte ausgearbeitet. Unter der Leitung von Dr. Heinrich Hanselmann startete 1924 der erste Jahreskurs – mit acht Studierenden und ebenso vielen Dozierenden. Auf dem Stundenplan standen Fächer wie zum Beispiel «Anatomie, Physiologie und Pathologie des Nervensystems» oder «Heilpädagogik». Das Fach «Handarbeit» belegte viel Zeit, und auch Hygiene (die von der ETH bezogen wurde) hatte einen gewissen Stellenwert, um die Lehrpersonen auf die «Erziehung der Anormalen» vorzubereiten. Die Hauptvorlesung «Einführung in die Heilpädagogik», der Hanselmanns gleichnamiges Buch zugrunde lag, war bis in die 1990er-Jahre ein wichtiger Teil des Curriculums.

Positionierung

Sowohl die Lerninhalte als auch die Organisation und Führung des HPS wurden stetig weiterentwickelt. Abgrenzungen und Schnittmengen mit anderen Disziplinen wie Medizin und Biologie mussten gefunden und das Profil der heilpädagogischen Ausbildung immer wieder angepasst werden. Die Beziehung zur Universität Zürich oder Lehrer:innenausbildung beziehungsweise der Platz der Heilpädagogik im wissenschaftlichen und pädagogischen Umfeld war immer wieder eine Herausforderung. Zudem war die Trägerschaft des HPS im Laufe der Zeit eine der wichtigen Kernfragen, die einerseits auf die Finanzierung und andererseits auf die Leitung Einfluss hatte. Vom ursprünglich privat finanzierten HPS bis zur heutigen Trägerschaft der HfH durch 13 Kantone und Liechtenstein gab es einige Diskussionen und Findungsprozesse.

Ausrichtung im gesellschaftlichen und historischen Kontext

Während im Zürcher Volksschulgesetz (VSG) von 1899 noch der Ausschluss der «schwachsinnigen und gebrechlichen» Kinder aus der Schule verankert war, liess dessen Revision von 1959 zu, dass «bildungsfähige, aber körperlich oder geistig gebrechliche sowie schwererziehbare oder sittlich gefährdete Kinder, die dem Unterricht in Normalklassen nicht zu folgen vermögen oder ihn wesentlich behinden» Sonderklassen zuzuweisen wären. Im VSG von 2005 heisst es schliesslich, alle Kinder seien in der Regelklasse zu unterrichten.

Wissenschaftliche Erkenntnisse sowie gesellschaftliche Entwicklungen und die Ausrichtung des HPS hatten stets eine Wechselwirkung. So war die Heilpädagogik in ihrer Frühzeit stark moralisch geprägt und fokussierte auf die Sorge um Menschen, denen das Leben schwerer fällt als anderen. In den 1930er Jahren galt den erwachsenen «untüchtigen Umweltgestaltern» – wie Dr. Hanselmann Menschen mit Behinderung damals bezeichnete – immer noch die Fürsorge. Im Sinne der Eugenik sollte diese Fürsorge aber auch bewirken, dass Behinderte auf Fortpflanzung verzichten.

Einen wichtigen Einfluss auf das HPS hatten seit den 1950er-Jahren die Longitudinalstudien des Zürcher Kinderspitals unter der Leitung von Remo Largo, welche die Unterschiedlichkeit der kindlichen Entwicklung empirisch untermauerten. Die Heilpädagogik orientierte sich unter dem Begriff «Heterogenität» am Konzept des Fitting, wonach die Entwicklungsmerkmale des Kindes und die Merkmale seiner Umwelt, etwa der Schule, zueinander passen müssen. In der Praxis hiess es, den heterogenen Entwicklungsmerkmalen aller Kinder und Jugendlichen Rechnung zu tragen und so die Grundlage für die Inklusion zu schaffen.

Die so genannt antiautoritäre Erziehung entfaltete in den 70er-Jahren ihre Wirkung. Deren prominenter Vertreter A. S. Neill deklarierte, es gebe kein problematisches Kind, sondern nur problematische Eltern. Damit rückte der Fokus vom «entwicklungsgehemmten» Kind zu einem strukturell-systemischen Begriff von Behinderung.

Die Entwicklung in Richtung Integration bis hin zur Inklusionsforderung der Erklärung von Salamanca und der UN-Behindertenkonvention wirkten und wirken sich auf die Rahmenbedingungen der heilpädagogischen Professionalisierung und damit auf Ausrichtung, Organisation und Stellenwert der HfH aus.

Vom Seminar zur Hochschule

Gestartet hatte das HPS vor 100 Jahren mit acht Studierenden. Es wuchs in der Folgezeit nicht nur zahlenmässig, sondern auch an Bedeutung in Forschung und Lehre. Daraus erwuchs 2001 die Hochschule für Heilpädagogik. 2024 studieren an der HfH rund 1300 Personen an einem der fünf Institute ein Bachelor- beziehungsweise Masterstudium oder den Lehrgang Gebärdensprachlehrpersonen. Insgesamt 200 Mitarbeitende sind an der HfH beschäftigt. «Bildung für Alle» und die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigung durch Forschung und Lehre voranzutreiben, betrachtet die HfH heute als ihr Kernanliegen.

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